Der Faustschlag von Lugano

Die Tagung des Völkerbundrates vom 15. Dezember 1928.
Stresemann

Reichsaußenminister Dr. Gustav Stresemann setzte sich energisch für die Rechte der deutschen Minderheit in Polen ein.

In Folge des ersten Weltkrieges war der polnische Staat wieder erstanden. Durch den Vertrag von Versailles mit seinen Willkürakten und in Folge von Angriffskriegen gegen seine Nachbarn hatte das eroberte Staatsgebiet schlußendlich eine beachtliche Größe erreicht. Der Anteil des polnischen Volkes, des „Staatsvolkes“, belief sich dabei auf nur auf rund 55% der Bevölkerung, 45% waren nationale Minderheiten (hauptsächlich Ukrainer, Deutsche, Weißrussen, Juden), die in weiten Gebieten des Staates klar die Bevölkerungsmehrheit bildeten, besonders im Osten. Polen war demnach ein Nationalitätenstaat.

Polen Bevölkerungsverteilung Zwanzigerjahre

Dabei waren die fremden Volksgruppen, ohne gefragt worden zu sein, ja zum größten Teil gegen ihren ausdrücklichen Willen, an Polen gekommen. Dieser Umstand war mit der von den Alliierten so nachdrücklich verkündeten Parole des Selbstbestimmungsrechtes der Völker nicht in Einklang zu bringen. Als Äquivalent dafür sollten den Volksgruppen wenigstens gewisse Grundrechte sichergestellt werden, die im Minderheitenschutzvertrag festgelegt wurden. Daher wurde in der Note, die Clemenceau als Konferenzpräsident namens des Obersten Rates am 24.6.1919 an den polnischen Ministerpräsidenten Paderewski richtete, betont, daß die Hauptmächte den Minderheitenschutzvertrag als Voraussetzung für die völkerrechtliche Anerkennung Polens betrachteten.
Infolgedessen musste Paderewski am 30.7.1919 im Warschauer Sejm (Parlament) erklären: „Der Vertrag zwischen Polen und den Hauptmächten entspringt dem Artikel 93 des Vertrages mit den Deutschen. Der Zusammenhang darin ist organisch, er … bildet eine der Hauptbedingungen unserer Unabhängigkeit.“
Somit hatte auch das Deutsche Reich aus Art. 93 des Versailler Friedensvertrages einen unmittelbaren Anspruch an den polnischen Staat, da dieser Artikel sozusagen eine Gegenleistung für die Abtretung von Reichsgebieten darstellte und keineswegs an eine etwaige, damals noch gar nicht in Frage kommenden Mitgliedschaft des Reiches im Völkerbund geknüpft war. Letzterer Umstand sei hier besonders betont, weil er wesentlich für die Beurteilung der rechtlichen Lage nach dem Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund im November 1933 sowie nach der Genfer Kontrolle durch Polen im September 1934 war. Den Minderheiten wurde in diesem von Polen am 28.6.1919 unterzeichneten Schutzvertrag unter Garantie des Völkerbundes der freie Gebrauch der Muttersprache, das Recht auf Errichtung, Leitung und Beaufsichtigung von eigenen Schulen, Wohlfahrtseinrichtungen und kirchlichen Anstalten sowie auf freie Ausübung jeden Bekenntnisses zugesichert. Alle polnischen Staatsangehörigen sollten ohne Unterschied des Volkstums, der Sprache und der Religion vor dem Gesetz gleich sein sowie dieselben bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte genießen. Dieser Inhalt der Minderheitenverträge stellte nach Auffassung der Hauptmächte das Mindestmaß dessen dar, was den andersnationalen Bevölkerungsteilen Polens als rechtlicher Eigenkreis zur Verfügung stehen sollte. Die Hauptmächte erklärten es für ihre Pflicht, für die stetige Einhaltung dieser Rechtsformen zu sorgen.
Demzufolge enthielt die polnische Staatsverfassung vom 17. März 1921 – die sogenannte Märzverfassung – folgende bedeutsame Artikel:
Artikel 109
Jeder Staatsbürger hat das Recht auf Erhaltung seiner Nationalität und Pflege seiner Sprache sowie seiner nationalen Eigenheiten. Besondere Staatsgesetze sichern den Minderheiten im Polnischen Staat die volle und freie Entwicklung ihrer nationalen Eigenheiten mit Hilfe autonomer Minderheitenverbände, die öffentlich rechtlichen Charakter im Rahmen der allgemeinen Selbstverwaltung haben. Der Staat wird hinsichtlich ihrer Tätigkeit das Recht der Aufsicht und erforderlichenfalls der Ergänzung ihrer finanziellen Mittel haben.
Artikel 110
Die polnische Staatsbürger, welche nationalen, konfessionellen oder sprachlichen Minderheiten angehören, haben in gleicher Weise wie die anderen Staatsbürger das Recht zur Gründung, Beaufsichtigung und Verwaltung von Wohltätigkeits-, Religions- und kulturell-gesellschaftlichen Anstalten, Schulen und anderen Erziehungsanstalten auf eigene Kosten, sowie das Recht, in ihnen frei ihre Sprache zu gebrauchen und die Vorschriften ihrer Religion frei auszuüben.
Die Rechte der Minderheiten in Polen waren somit nicht nur außenpolitisch gesichert, sondern auch innenpolitisch verankert.
Zumindest theoretisch – die Praxis war eine diametral entgegengesetzte. Die vor allem mit Rechtsbetrug aber auch mit Gewalt zur erzwungenen Auswanderung von mehr als einer Million Deutschen aus Polen führte und das bereits in den Zwanzigerjahren.                              Nur mit einigen Schlagworten sei hier das ganze System gekennzeichnet:
Unberechtigte Nichtanerkennung der polnischen Staatsbürgerschaft, Liquidation, Annullation, Vertreibung der Domänenpächter, Zwangsoptionen mit später folgender Ausweisung unter Einbehalt von 50 Prozent des Vermögens, Zwangspolonisierung von Vereinen, Verbänden und Gilden, Massenentlassungen von durch falsche Versprechungen getäuschten Beamten und Angestellten, Zerschlagung und innere Zersetzung des deutschen Schulwesens, Behinderung der deutschen Kulturpflege, Massenbeschlagnahmen von Zeitungen, Internierungen, Ausweisungen, übermäßige Steuerbelastung, offene Drohungen und Terrorübergriffe der Verwaltung, parteiliches Gerichtswesen der unteren Instanzen, Behinderung in der Ausübung staatsbürgerlicher Rechte, Absperrungen von den Angehörigen im Ausland durch unerhört hohe Paßgebühren, Wahlfälschungen, Verweigerung von Auflassungen bei Grundstückskaufen, demgegenüber Mißbrauch der Boden- und Agrarreform zu Entdeutschungszwecken, Übergehung von Nichtpolen bei der Siedlungstätigkeit, usw. Und natürlich die Folgen der kriegerischen Auseinandersetzungen besonders in Oberschlesien aber auch in Posen.
Die polnischen Praktiken in der Zeit zwischen den Weltkriegen werden noch oft Thema von Artikeln auf diesem Blog sein !
Wir springen nun in das Jahr 1928 und betrachten den Kampf Stresemanns im Völkerbundrat. Kommentiert von der Zeitschrift „Ostland“ der Wochenschrift des Deutschen Ostbundes, eines Heimatbundes welcher besonders für die Interessen der vertriebenen deutschen Westpreußen und Posener eintrat:
Völkerbund und nationale Minderheiten in Europa:
Ostland 1928, Nr. 37, Seite 479

Ostland 1928, Nr. 37, Seite 479

Ostland 1928, Nr. 37, Seite 480

Ostland 1928, Nr. 37, Seite 480

Der Verlauf der Völkerbundratssitzung:
Ostland 1928, Nr. 51, Seite 657

Ostland 1928, Nr. 51, Seite 657

Ostland 1928, Nr. 51, Seite 658

Ostland 1928, Nr. 51, Seite 658

Ostland 1928, Nr. 51, Seite 659

Ostland 1928, Nr. 51, Seite 659

Das internationale Echo der Stresemannschen Rede in Lugano:

Ostland 1928, Nr. 52, Seite 670

Ostland 1928, Nr. 52, Seite 670

Ostland 1928, Nr. 52, Seite 671

Ostland 1928, Nr. 52, Seite 671

Ostland 1929, Nr.4, Seite 37

Ostland 1929, Nr.4, Seite 37

Ostland 1929, Nr.4, Seite 38

Ostland 1929, Nr.4, Seite 38

Die Völkerbundratstagung ein halbes Jahr später. Eine schwere Niederlage für Stresemann und den Schutz der nationalen Minderheiten in Europa. Und für Deutschland, insbesondere das republikanische Deutschland.

Ostland 1929, Nr.24, Seite 301

Ostland 1929, Nr.24, Seite 301

Ostland 1929, Nr.24, Seite 302

Ostland 1929, Nr.24, Seite 302

Ostland 1929, Nr.24, Seite 303

Ostland 1929, Nr.24, Seite 303

Stresemann konnte sein Ziel nicht erreichen, hauptsächlich das dreckige Duo Frankreich und Polen mit ihrer antideutschen Politik sorgte für seine Niederlage, die mittelfristig ein entscheidender Ansehensverlust für die Weimarer Republik wurde. Wenige Monate später im Oktober 1929 starb Gustav Stresemann. Er wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung begraben:

Ausländer wie der sogenannte „Versöhnungspolitiker“ Briand, der unter dem täuschenden Schlagwort „Versöhnung“ zB. knallhart französische Raubsicherungsinteressen bez. des deutschen Elsass-Lothringen vertrat und eben noch zusammen mit Polen und anderen Mächten Stresemanns Minderheitenpolitik sabotierte, fanden nun die höchsten Lobenshymnen für Stresemann. Und setzten danach ihre deutschfeindliche Politik fort.
Mit Stresemann verlor die Weimarer Republik ihren sowohl für die Innen- als auch für die Außenpolitik bedeutendsten Staatsmann. Sein Biograph Eberhard Kolb nennt ihn die „zu seinen Lebzeiten […] weltweit bekannteste und geachtetste deutsche Politikerpersönlichkeit“.
Gedanken von Ernst v. Weizsäcker aus seinem Buch: „Erinnerungen“. München 1950 (wurden von seinem mißratenen Sohn Richard herausgegeben. Er kannte also die geschichtliche Wahrheit, verleugnete sie aber, weil er im Dienst der Feinde Deutschlands stand) im Kapitel: „Diplomatischer Aufmarsch Frühjahr 1939“.
Seite 222 -223
…. Sicher war, daß London, angetrieben von Washington, Hitlers Vorrücken in Europa definitiv abriegeln wollte. Beim nächsten Schritt würde es zuschlagen. Nur so und nicht anders war die Londoner Regierungserklärung vom 31. März 1939 im Unterhaus zu verstehen. Bekanntlich gehörte es als fester Bestandteil zur britischen Regierungskunst, sich nie ganz zu binden. Als Austen Chamberlain den Rhein-Pakt von Locarno schloß, der vorsichtig formuliert war, galt das in England schon als das Äußerste von britischen Bindungen an die Verwicklungen des Kontinents. Sein Bruder Neville aber band England fest an die Entschlüsse Polens. In einem normalen Bündnisvertrag versprechen sich die Partner militärische Hilfe für den Fall eines nicht provozierten Angriffs durch Dritte; ob der Fall vorliegt, entscheidet natürlich der Partner, der Hilfe leisten soll. Hier nun war es umgekehrt.
Warschau hätte es in der Hand, das britische Empire in den Krieg zu ziehen. Wie könnte man in London glauben, auf solche Weise dem Frieden zu dienen? Glaubte man, den durch äußere Erfolge verwöhnten und geblendeten Hitler öffentlich intimidieren zu können? Und glaubte man, die polnischen Regierungsorgane würden so zur Vorsicht gemahnt?
Ich glaubte das nicht, und der britische Botschafter teilte meine Ansicht. Der britische Minister und spätere Botschafter Duff Cooper drückte es so aus: nie in der Geschichte habe England einer zweitrangigen Macht die Entscheidung darüber eingeräumt, ob Großbritannien in einen Krieg einzutreten habe oder nicht.        Jetzt sei diese Entscheidung einer Handvoll Leuten überlassen, deren Namen – mit Ausnahme vielleicht von dem des Obersten Beck – in England total unbekannt seien. Und diese Unbekannten könnten morgen die Entfesselung des europäischen Kriegs befehlen. Soweit Duff Cooper.
Der polnische Botschafter Lipski kam Anfang April zu mir mit der Versicherung, dieses britisch-polnische Versprechen sei vereinbar mit dem deutsch-polnischen Abkommen von 1934. Ich konnte das nur mit Lächeln entgegennehmen. Im gleichen Gespräch gab Lipski zu, daß polnische Truppen um Danzig sich versammelten. Deutschland stand vor einer neuen, noch gefährlicheren Phase seiner Außenpolitik. Jeder irgendwie Beteiligte mußte aus dem März 1939 seine Schlüsse ziehen. Hitler war in den kritischen Monaten vor Prag wieder meistens fern von Berlin gewesen. Das Auswärtige Amt war an der so wichtigen und bedenklichen Entwicklung unbeteiligt geblieben. Meine Warnungen an Ribbentrop hatten nichts gefruchtet, meine indirekten Verbindungen zu Hitlers Hauptquartier nichts eingebracht. Wie sollte es in Zukunft werden, da doch die Westmächte Hitlers Übergriffe keinesfalls mehr tolerieren würden? Hitlers Marsch auf Prag hatte gewirkt wie eine Bombe mit Spätzündung. Präsident Roosevelt ließ sich nun mit einem großen Friedensappell laut vernehmen. Er stellte dabei die Achsenpartner als die künftigen potentiellen Angreifer hin. Er sah von der diplomatischen Grundregel ab, vor seinem Appell bei den Beteiligten zu sondieren. Das war auf die Mentalität Hitlers schlecht berechnet, wenn der Aufruf zum Guten dienen sollte. …
Seite 242:
… Unser Vertreter in Warschau, Moltke, nach meinem Urteil der beste Botschafter, den wir damals überhaupt besaßen, war durch die Behandlung der deutschen Minderheit in Polen immer schon in Atem gehalten und beurteilte die Zunahme der nationalistischen Ausschreitungen sehr ernst. Wieviel davon deutsch-polnische Wechselwirkung und wieviel hergebrachte polnische Hybris, die schon Talleyrand erregte, oder auch wieviel einfach dem vom Versailler Vertrag gewollten deutsch-polnischen Dauerzerwürfnis zu verdanken war, das soll hier unerörtert bleiben. Fest steht, daß der deutsch-polnische Minderheitenstreit keine Erfindung von Hitler war. Wer die zwanziger Jahre und den Beginn der dreißiger Jahre verfolgt hat, weiß davon. Ich selbst habe jahrelang keine Tagung des Völkerbundsrats erlebt ohne schwere deutsch-polnische Reibung oder Krise. Ich war Zeuge, wie die polnischen Übergriffe und Vertragswidrigkeiten in der Weimarer Republik, den Versöhnungspolitiker Stresemann zu seinem berühmten Faustschlag von Lugano trieben und später bei einer Tagung in Madrid zum Versuch einer Revision des ganzen Minoritätenstatuts. Im Dritten Reich war es damit nicht besser bestellt. Nur hatte Hitler ab 1934 das Thema aus der deutschen Presse bis auf weiteres verbannt. Aus der Verwaltungspraxis der Woiwoden war darum die Unterdrückung der deutschen Minderheiten keineswegs verschwunden. Unsere diplomatischen und Konsulatsberichte aus Polen zeigten, wie 1939 die Welle immer höher auflief und das ursprüngliche Problem: Danzig und Passage durch den Korridor überdeckte.
 Die Spannung wegen des unmittelbaren Schicksals der deutschen Minderheit bekam ihr eigenes Leben und ihr eigenes Gesicht.

 

 

 

 

 

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